Die Marktgärtnerei (Text von Manuel Nagel, Kolibri Netzwerk e.V.)

Die Marktgärtnerei (Text von Manuel Nagel, Kolibri Netzwerk e.V.)

Die Ausgangslage

»Get big or get out« – diese Forderung des ehemaligen U. S. amerikanischen Landwirtschaftsministers Earl Butz prägt bis heute nationale und internationale Agrarpolitik. Je größer ein Betrieb – so die Annahme -, umso effizienter könne er wirtschaften. Ob im konventionellen oder im biologischen Anbausystem, in der logischen Konsequenz dieses Expansionsmodells sinkt die Anzahl der Betriebe in Deutschland seit Jahrzehnten, während dessen die bestehende landwirtschaftliche Produktion immer weiter in globale Strukturen und Märkte eingebunden wird. Aktuell gibt es etwa noch 267.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland (Stand 2020), davon sind 5.777 Gemüsebaubetriebe1.

Die Selbstversorgungsquote bei Gemüse in Deutschland beträgt circa ein Drittel. Das heißt, zwei Drittel des in Deutschland konsumierten Gemüses wird importiert.2 Dabei haben zwischen 2010 und 2018 über zehn Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland aufgegeben3. Und auch im Gemüsebau ist das Höfesterben nach wie vor Realität. So gab es im Jahr 2000 noch mehr als 12.000 Gemüsebaubetriebe, was doppelt so vielen Betrieben wie heute entspricht. Die mittlere Anbaufläche je Gemüsebaubetrieb beträgt in Deutschland 2023 mittlerweile 20,6 ha4. Zusammengefasst gibt es immer weniger Betriebe mit immer mehr Anbaufläche. Der Wachstumsdruck führt dazu, dass auch Gemüsebaubetriebe wachsen oder aufgeben, »Get big or get out«.

Je größer aber ein Betrieb, umso höher auch die Investitionskosten, die mit seiner Gründung verbunden sind – insbesondere vor dem Hintergrund stark und stetig steigender Flächenpreise. Als Folge sind landwirtschaftliche Betriebe meist hoch verschuldet, und viele, vor allem junge Menschen, die sich gerne eine Existenz in der Landwirtschaft aufbauen würden, schrecken aus finanziellen Gründen davor zurück. Der Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 plädiert für eine Ausdehnung agrarökologischer Methoden und der Förderung von Kleinbauern auch in den industrialisierten Ländern. In dem Bericht Transformation of our food system5 von 2020 fordern die Autorinnen und Autoren ein neues Paradigma zur Transformation des ganzen Ernährungssystems. Dieses neue Paradigma muss die planetaren Grenzen anerkennen, zu einer Relokalisation der Wertschöpfungsketten beitragen, die wahren Kosten miteinbeziehen und das Management von Komplexität als Grundelement lebender Systeme im Denken und Handeln abbilden. Der Autor Benedikt Haerlin beschreibt die Dynamik der 2010er-Jahre als Phase der Entstehung vieler Bottum-up-Initiativen: »A groundswell of highly innovative, yet conserving and healing agricultural and community practices may prove to have laid the ground for a ›revolution of the niches‹ in industrialized as well as in less industrialized societies«.

Der Selbstversorgungsgrad in Deutschland 2023
Der Selbstversorgungsgrad in Deutschland 2023
© BLE 2025
Anzahl der Landwirtschaftlichen Betriebe
Anzahl der Landwirtschaftlichen Betriebe
© Statistisches Bundesamt; BMEL, DZ Bank

1 A. Deter: DBV-Situationsbericht: 266.700 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. In: top agrar online vom 5. Januar 2024 (www.topagrar.com/management-und-politik/news/266-700-landwirtschaftliche-betriebe-in-deutschland- 11946438.html).
2 Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) – Der Selbstversorgungsgrad in Deutschland, online vom 22.02.2024 (https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/BZL/Informationsgrafiken/240222_Selbstversorgungsgrad.html)
3 A. Deter: Massiver Strukturwandel: DZ-Bank prognostiziert dramatisches Höfesterben bis 2040. In: top agrar online vom 14. Februar 2020 (www.topagrar.com/management-und-politik/ news/dz-bank-prognostiziert-dramatisches-hoefesterbenbis- 2040-11977700.html).
4 Garming H. (2024) Steckbriefe zum Gartenbau in Deutschland: Gemüsebau. Braunschweig: Thünen-Institut für Betriebswirtschaft. (https://www.wirgarten.com/heimischer-gemuesebau-in-der-krise-analyse-loesungsidee/)
5 H. R. Herren, B. Haerlin and IAASTD+10 Advisory Group (eds.): Transformation of our food systems. The making of a paradigm shift. Zürich / Berlin 2020 (www.globalagriculture.org/fileadmin/files/weltagrarbericht/IAASTD-Buch/PDFBuch/BuchWeb-TransformationFoodSystems.pdf).

Das Konzept der Marktgärtnerei

Weltweit beweisen immer mehr Gemüsebauern, dass wirtschaftliche Rentabilität nicht nur allein durch Größenwachstum zu erreichen ist. Sie kombinieren verschiedenste ökologische, technische und wirtschaftliche Praktiken, um die Flächenproduktivität sowie die Wertschöpfung pro erzeugtem Produkt auf begrenzter kleiner Anbaufläche zu steigern. Das Motto lautet nicht mehr »get big or get out«, sondern »get small and smarter«.
Diese Konzepte stellen den Beweis an, dass der Klassiker des frühen Nachhaltigkeitsdiskurses „Small is beautiful1“ von Ernst Friedrich Schumacher den Test der Zeit mit Bravour besteht. Dessen Analyse eines sich schon damals herausschälenden Wohlstandsmodells, das auf industrieller Spezialisierung, räumlicher Entgrenzung, blindwütiger Technisierung und – als Konsequenz daraus – menschlicher Verkümmerung beruht, bleibt mustergültig. Zukunftsbeständig (auch in der Landwirtschaft) sind daher anstelle großer Produktionskapazitäten nur ein dezentrales System kleiner Einheiten, die sich flexibel an die jeweiligen Bodenverhältnisse, geografischen, kulturellen und historischen Besonderheiten anpassen. Eine solche Diversität ist resilienter als ökonomische und anbautechnische Monokulturen. Diese „Marktgarten-Betriebe“ sind menschengerecht ausgerichtet, ganzheitlich gedacht und unternehmerisch optimiert und schaffen ein wertschätzendes und direktes Verhältnis zwischen Gärtner und Kunde. Hauptgeschäftsbereich vieler Marktgarten-Betriebe ist der Anbau von Gemüse. Hier wird eine Vielzahl an verschiedenen Gemüsesorten mittels Handarbeit und einfachen, teilmechanisierten Geräten angebaut und über direkte Vermarktungswege wie etwa auf dem Wochenmarkt, im Hofverkauf, an Restaurants, als Selbsternte-Konzept oder im Rahmen einer Solidarischen Landwirtschaft vertrieben. Der Anbau erfolgt biologisch und intensiv, sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Perspektive, unter gleichzeitiger Steigerung der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit. Immer mehr Betriebe kombinieren den Gemüsebau mit weiteren Geschäftsfeldern wie mobiler Hühnerhaltung, Agroforst, Schnittblumen, Pilzzucht oder Microgreens und schaffen somit vielfältige, resiliente und produktive Kleinstbetriebe. Die Marktgärtnerei stellt eine Kombination aus modernen Ansätzen von bewährten traditionellen Methoden mit jahrzehntelanger Weiterentwicklung dar. Inspiriert sind die Höfe durch die Marktgärtner von Paris aus dem 19. Jahrhundert, die damals die Millionenmetropole mit Gemüse versorgten. Dafür entwickelten sie besondere Werkzeuge und Techniken, um auf kleinem Raum produktiv zu sein und gleichzeitig die Bodenfruchtbarkeit aufrechtzuerhalten. Ausführlich beschrieben ist dies in dem Buch Manuel pratique de la culture maraîchère de Paris2 von Moreau und Daverne aus dem Jahr 1845. Dieses alte, bewährte Wissen wurde mit neuen agrarökologischen und permakulturellen Erkenntnissen und Erfindungen, vor allem von den amerikanischen Biopionieren wie Eliot Coleman und John Jeavons, kombiniert. Mit den Referenzwerken The new organic grower3 von Eliot Coleman (1995) und How to grow more vegetables than you ever thought possible on less land than you can imagine4 von John Jeavons (1991) inspirierten beide eine ganze Reihe jüngerer Pioniere, unter anderem Jean-Martin Fortier und Maude-Hélène Desroches (Kanada), Elizabeth und Paul Kaiser (Kalifornien, USA), Charles und Perrine Hervé-Gruyer (Frankreich) oder Richard Perkins (Schweden), die die Marktgärtnerei ab 2017 auch in Deutschland zum Durchbruch führten.

1 E.F. Schumacher: Small is beautiful. 1972

2 J. G. Moreau et J. J. Daverne: Manuel pratique de la culture maraîchère de Paris. Paris 1845.

3 E. Coleman: The new organic grower. A master‘s manual of tools and techniques for the home and market gardener. 2. Edition. White River Junction 1995.

4 J. Jeavons: How to grow more vegetables (and fruits, nuts, berries, grains, and other crops) than you ever thought possible on less land with less water than you can imagine. 8. Edition. Berkeley 2012.

Es gibt viele verschiedene Typen von Marktgärten. Hier ein Eindruck aus dem „AI-Market Garden" des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz (DFKI) in der Nähe von Osnabrück.
Es gibt viele verschiedene Typen von Marktgärten. Hier ein Eindruck aus dem „AI-Market Garden" des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz (DFKI) in der Nähe von Osnabrück.
© Robert Franz
Es gibt auch schon die ersten Roboter, die auf den Einsatz im Marktgarden spezialisiert sind, hier der „Lero 1" (Stand 2022) als Prototyp von Nature Robots.
Es gibt auch schon die ersten Roboter, die auf den Einsatz im Marktgarden spezialisiert sind, hier der „Lero 1" (Stand 2022) als Prototyp von Nature Robots.
© Robert Franz

Die Erfolgsfaktoren

Die wirtschaftliche Rentabilität entsteht aus der Kombination vieler einzelner ökologischer, technischer und wirtschaftlicher Praktiken (siehe Abb. 1). Wichtig dabei zu erwähnen, dass einzelne Strategien für sich keine Neuerung darstellen, sondern bereits von vielen Gemüsebaubetrieben seit Jahren bzw. Jahrzehnten angewendet werden. Die Innovation besteht vielmehr in der Kombination und kann somit als systemisch bezeichnet werden. Die zwei Hauptprinzipien sind »Steigerung der Produktion auf kleiner, begrenzter Fläche« und »Steigerung der Wertschöpfung pro erzeugtem Produkt«. Die hier angeführten Praktiken müssen vor Ort an die jeweiligen persönlichen, standortspezifischen und regionalen Bedingungen angepasst werden.

Abbildung entnommen aus: M. Nagel: Die Revolution des Kleinen – Erfolgreich ökologisch wirtschaften mit biointensiver Landwirtschaft und Mikrofarming. In: Der kritische Agrarbericht 2021, 137
Abbildung entnommen aus: M. Nagel: Die Revolution des Kleinen – Erfolgreich ökologisch wirtschaften mit biointensiver Landwirtschaft und Mikrofarming. In: Der kritische Agrarbericht 2021, 137
© M. Nagel
Wild und ertragreich, die Dauerbeete von der Solawi Donstorf auf dem Hollerhof.
Wild und ertragreich, die Dauerbeete von der Solawi Donstorf auf dem Hollerhof.
© Robert Franz

Biointensiver Gemüsebau

Einer der Grundbausteine für den wirtschaftlichen Erfolg der Betriebe ist das biointensive Anbausystem. Diese »biologisch-intensive« Methode ermöglicht die Ertragsmaximierung einer Kulturfläche, sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Perspektive, bei gleichzeitiger Wahrung, wenn nicht sogar Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Hierbei sind die Beete leicht hügelig angelegt und bleiben permanent bestehen. Permanent bedeutet, dass diese Beetstruktur einmal angelegt wird und dann für viele Jahre an derselben Stelle bleibt und nur noch die dazwischenliegenden Wege betreten werden. Die permanenten Beete mit guter Bodenstruktur ermöglichen dadurch – je nach Kultur – eine drei- bis fünfmal dichtere Pflanzung. Die Förderung eines lockeren, nährstoffreichen Bodens erlaubt den Gemüsewurzeln, sich mehr in die Tiefe als seitwärts an der Oberfläche auszubreiten. Dadurch wird es möglich, die Abstände innerhalb der Kultur sehr eng zu setzen, ohne dass sich die Pflanzen im Wurzelbereich gegenseitig behindern. Diese engen Pflanzabstände führen zu zahlreichen positiven Effekten: Ein frühzeitiger Reihenschluss (nach circa Dreiviertel des Wachstums) erzeugt ein günstiges Mikroklima, verringert das Austrocknen der Bodenoberfläche und verhindert durch die Beschattung die Vermehrung von Beikräutern.


In diesem Video geben wir euch einen guten Einstieg zum Thema Dauerbeete.



Aus Fehlern lernt man. In diesem Video reden wir über unsere krassesten Fehler bei der Bewirtschaftung von Dauerbeeten.



Wie man Dauerbeete anlegen kann zeigen euch diese beiden Videos.


Lean Farming

Neben dem Innovationspotential der permanenten Beete stellt der Ansatz des »Lean Farming« einen weiteren wichtigen Hebel zur Steigerung der wirtschaftlichen Rentabilität eines Betriebs dar. Der amerikanische Landwirt Ben Hartmann überträgt in seinem Buch The Lean Farm1 das Konzept, welches ursprünglich von dem Gründer von Toyota erfunden wurde. Grundlegend geht es um eine effiziente Gestaltung von Methoden und Verfahrensweisen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Er unterteilt Arbeitsprozesse in drei Kategorien:

1. Unnötige Arbeiten,

2. Notwendige Arbeiten, aber nicht direkt beitragend zur Wertschöpfung,

3. Arbeiten, die direkt zur Wertschöpfung beitragen.

In der Umsetzung geht es darum, alle unnötigen Arbeiten zu entfernen, alle notwendigen Arbeiten zu verschlanken und alle die Wertschöpfung steigernden Arbeiten zu vermehren. Dabei kann dieser Denkansatz sowohl in der Aufbauphase als auch in der Betriebsphase angewendet werden. In der Aufbauphase spielt die Standardisierung eine wichtige Rolle: Beete erhalten eine einheitliche Länge und werden in Blöcken zusammengefasst. Dies ermöglicht eine einfachere Planung sowohl bei Pflanzmengen pro Beet, in der Vereinheitlichung von Kulturschutzutensilien, als auch in der Planung der Kulturrotationen. In der Praxis haben sich Beetbreiten von 75 Zentimeter durchgesetzt, da diese noch bequem in der Hockposition kultiviert werden können. Eine effiziente Wegeführung auf dem Betrieb kann überdies viel Zeit über das Jahr hinweg einsparen. In der Betriebsphase spielen kontinuierliche Verbesserungen der Arbeitsabläufe eine wichtige Rolle: Was brauche ich wirklich für meine Arbeit, wie halte ich stets Ordnung und Übersichtlichkeit, wie vereinfache ich Arbeitsabläufe, wie kann ich Wertschöpfung steigern? Richard Perkins hat auf seiner Farm in Schweden alle Arbeitsabläufe mit Zeit-Bewegungs-Studien erfasst. Somit kann er ein fundiertes Controlling seiner Abläufe durchführen und seine Mitarbeiter die Abläufe üben lassen. Wichtig ist es dabei zu verstehen, dass es nicht um Ausbeutung oder Größenwachstum geht. Vielmehr machen diese Maßnahmen über das Jahr hinweg den Unterschied aus, ob ich einen »frühen Feierabend, einen Winterurlaub und ein Gehalt über dem Branchendurchschnitt habe, oder eben nicht« (Richard Perkins). In Deutschland hat der Betrieb Biotop Oberland aus Lenggries in Bayern viele „Lean-Methoden“ erfolgreich implementiert.

1 B.Hartmann: The Lean Farm - How to Minimize Waste, Increase Efficiency, and Maximize Value and Profits With Less Work. Chelsea Green Publishing Co. 2015

Strukturiert und optimiert: die Gemüsegärtnerei Grööntüügs.
Strukturiert und optimiert: die Gemüsegärtnerei Grööntüügs.
© Julian Plagemann

Das Delegieren, Koordinieren und Organisieren von Arbeiten ist nötig, um die Theorie des Lean Farming in die betriebliche Praxis zu übertragen. In diesem Video lässt uns Britta an ihren langjährigen Erfahrungen als Betriebsleiterin teilhaben.


Handwerkzeuge

Die Kleinräumigkeit und die Kompaktheit der Beetflächen ermöglichen den Verzicht auf einen Traktor und die Minimierung von Investitionskosten und Ausgaben für Betriebsmittel wie Rohölprodukte. Dies eröffnet ein weites Feld für Innovationen von leichten und effizienzsteigernden Handgeräten, ganz im Sinne der von Ernst Friedrich Schumacher geforderten mittleren, »dem Leben dienenden« Technologie. So entsteht auch hier eine Symbiose aus bewährten, weiterentwickelten Gartengeräten aus der ganzen Welt und der Erfindung neuer Geräte, vom elektrischen Einachsschlepper bis zur selbstgebauten Grabegabel. Ursprünglich aus solidem Stahl hergestellte ein- oder mehrreihig handbetriebene Sägeräteerlangen nun durch eine leichtere Bauart eine einfachere Bedienung. Der aus Japan stammende PaperPot Transplanter pflanzt Setzlinge direkt während der Überfahrt, indem er mit Anzuchtbehältern aus Papier, die nach dem Origamiprinzip gefaltet sind, arbeitet. Diese Lowtech-Maschine kann bei erlernter Bedienung genauso schnell wie eine Pflanzmaschine sein, allerdings ohne fossile Energie. Oder anders gesagt: Die vorher händische Arbeit kann nun um ein Vielfaches effizienter sein. Solche Innovationen finden entlang der ganzen Wertschöpfungskette statt. Ob pneumatische Plattensämaschinen für die Anzucht, umgebaute Waschmaschinen zum Waschen von Schnittsalate oder bohrmaschinenbetriebene Erntegeräte: Effizienzsteigerung und Arbeitserleichterung für ein gutes Leben in der Landwirtschaft stehen im Mittelpunkt. Hier hat Conor Crickmore von der Neversink Farm (New York, USA) eine breite Palette an praktischen Werkzeugen entwickelt, die mittlerweile auch über europäische Lieferanten (zum Beispiel Terra Teck) erhältlich sind. Neben diesen landwirtschaftlichen Praktiken basiert der wirtschaftliche Erfolg auch auf der Optimierung aller anderen Bereiche eines landwirtschaftlichen Unternehmens wie die Verarbeitung bzw. Aufarbeitung, das Marketing und die Distribution bzw. Vermarktung der Produkte.


In diesem Video stelle ich euch die Basiswerkzeuge für den kleinen Geldbeutel und den erfolgreichen Start im eigenen Garten vor.


Vermarktung

Die Art der Vermarktung stellt ein weiteres wichtiges Merkmal der Marktgarten-Betriebe dar. Dabei liegt der Schlüssel zur Steigerung der wirtschaftlichen Rentabilität in der direkten Vermarktung. Über den direkten Kontakt mit Kunden ist es möglich, die beiden Hauptunterscheidungsmerkmale zu industriellen Lebensmitteln darzustellen, nämlich die Frische und die Qualität der Lebensmittel. Kunden können an den Betrieb gebunden werden und als Teil eines Beziehungsgeflechts mit dem Betrieb wachsen. Über die Solidarische Landwirtschaft, Abokisten, Marktschwärmer, Wochenmarkt, Hofverkauf und die Belieferung an Restaurants gibt es eine große Vielfalt von Absatzwegen, welche den Betrieb resilienter gestalten können.
Tom Mühlbauer vom Betrieb Feldgarten führte als erster Marktgarten-Betrieb das Selbsternte-Konzept (inspiriert von einem belgischen Betrieb) in Deutschland ein. Hier können, in diesem Falle die Solawi-Kunden, ihre Anteile individuell und nach eigenen Vorstellungen selbstständig ernten. Die Gärtner leistet die gärtnerische Arbeit bis zur reifen Tomate und gibt Orientierung, sowohl über eine gute Beschilderung im Garten als auch über wöchentliche Erntebeschreibungen via Email, auf denen die jeweilige Erntemenge mit grün (nimm so viel du möchtest), über gelb (nimm für dich) bis rot (nur wenig vorhanden) einfach kommuniziert wird. Die Solawi-Kunden sind frei im Ernten, können den Gärtnern Fragen stellen und erhalten durch die Selbsternte einen tieferen Bezug zum Gemüse. Das Innovative liegt somit nicht in einzelnen Maßnahmen begründet. Vielmehr geht es um eine ganzheitliche Betrachtung auf systemischer Ebene. Im Umkehrschluss stellt das hohe Maß an Optimierung große Anforderungen an die Landwirte. Das Management (Anbauplanung, Arbeitsplanung etc.) wird wesentlich komplexer und erhält einen zentralen Stellenwert. Hierzu bieten mittlerweile zahlreiche Betriebe Weiterbildungskurse an. Eine Übersicht dazu sind unten angefügt.

Betriebsbeispiele aus Deutschland

Die strukturelle als auch inhaltliche Umsetzung des Konzeptes ist durchaus unterschiedlich. Strukturell wird der Ansatz des biointensiven Gemüsebaus auch von etablierten Gemüsebetrieben übernommen, da vor allem die arbeitswirtschaftlichen Vorteile im Feingemüseanbau lohnenswert sind.

Ein Marktgarten kann weiterhin ein mehr oder weniger selbstständiger Teil eines größeren Hofbetriebes sein, wenn die Vermarktungsseite hinzukommt. So stellt der Marktgarten von den Zukunftsbauern auf Schloss Tempelhof einen Teil der Landwirtschaft dar. Das hier produzierte Feingemüse wird für ihre Solidarische Landwirtschaft durch einen mulchbasierten Feldgemüseanbau ergänzt. Gerade die niedrigen Investitions- und Betriebskosten machen das Marktgarten-Konzept jedoch interessant für den eigenen unternehmerischen Einstieg in die Landwirtschaft. Denn wenig Fläche und der Verzicht auf teure Maschinen senken die Investitionen auf ein Minimum. Somit kann der Start mit einem Kapitalbedarf von 20.000 bis 60.000 Euro gut möglich sein. Vivian Glover vom Gemüsegarten Hoxhohl startete ihr Projekt 2016 auf einer 3.600 Quadratmeter großen Fläche mit einem Startbudget von rund 35.000 Euro. Aufgrund der wirtschaftlichen Rentabilität des Projekts konnte sie weitere Anschaffungen im Laufe der Jahre ohne Verschuldung tätigen. Im Jahr 2023 konnte sie auf einem Drittel Hektar von April bis März Gemüse für 120 Ernteanteile einer Solidarischen Landwirtschaft erzeugen. Sara Knapp und Orfeas Fischer haben 2017 den Betrieb Weierhöfer Gartengemüse mit Anfangsinvestitionen von rund 10.000 Euro gegründet. Auf 2.000 Quadratmeter Fläche erzeugen sie rund 30 verschiedene Sorten Gemüse für 220 kleine Gemüsekisten (für zwölf Euro) pro Woche, von April bis Oktober. Für viele QuereinsteigerInnen bildet auch die Gründung im Nebenerwerb eine sinnvolle Perspektive. So können erste praktische Erfahrungen gesammelt und einen Kundenstamm langsam aufgebaut werden. Damit ist das Risiko der Existenzgründung im Gemüsebau etwas geringer und schafft für die Personen einen realistischen Einblick in ein nach wie vor körperlich anspruchsvolles Arbeitsfeld. Johannes Walzer vom Betrieb Lebendiger Landbau gründete 2017 seinen Marktgarten auf einer ehemaligen landwirtschaftlichen Hofstelle in Nordwestmecklenburg. Über die Jahre vergrößerte sich die Solawi, sodass beginnend als Marktgärtnerei nun die Hofstelle zu einem landwirtschaftlichen Gemischtbetrieb gewachsen ist, bei der er sein Feingemüseanbau im Marktgarten-System unter anderem um einen traktorbasierten Mulchgemüseanbau für das Feldgemüse ergänzt hat, um so seine Solawi mit nun 200 Anteilen ganzjährig beliefern zu können. Ein Beispiel, wie der Einstieg in die Landwirtschaft über die Marktgärtnerei gelingen kann. Auf der Ebene der Geschäftsfelder weisen die Marktgarten-Betriebe verschiedene Ausgestaltungen auf. Hauptgeschäftsfeld ist meistens ein Marktgarten. Viele Betriebe kombinieren diesen mit weiteren Geschäftsfeldern wie mobiler Hühnerhaltung (Legehennen, Masthähnchen), Streuobst bzw. Agroforst, Feldgemüseanbau, Pilzzucht, Microgreens, Blumen oder Gemüsefermentation. Jasper de Wit bewirtschaftet den Helle-Hof in Godelheim (NRW). Neben dem Marktgarten als Hauptgeschäftsfeld hat er eine mobile lowtech Hühnerhaltung aufgebaut, welche er unter anderem mit einer Streuobstwiese kombiniert und somit ein multifunktionales Agroforstsystem schafft. Weiterhin integriert er Baum- und Strauchreihen in und um seinen Garten, welche ihm nicht nur für Windschutz und Nützlingsunterkunft sorgen, sondern auch mittelfristig seine Produktpalette erweitern. Die menschengerechte Ausrichtung und somit die überschaubare Größe seines Betriebes ermöglicht ihm die Integration der vielfältigen Nebenerzeugnisse wie Grünschnitt oder Hühnermist und der Steuerung der Synergieeffekte hin zu einem Kreislaufsystem. Im Jahr 2014 hat Olaf Schnelle den Betrieb Schnelles Grünzeug in Grammerdorf (Mecklenburg-Vorpommern) gegründet. Teil seines Betriebes ist ein Marktgarten auf einer Fläche von 3.000 Quadratmetern. Er hat sich auf die Fermentierung von Gemüse- und Wildpflanzen spezialisiert. Somit steigert er die Wertschöpfung seiner Urproduktion, z. B. von Kohl, schafft ein breiteres Angebot und kann damit vormalige Erntereste verwerten und über die Winterzeit vermarkten. Neben dem klassischen »Grünzeug« kann die biointensive Anbaumethode auch zum Anbau anderer Pflanzen, z. B. von Schnittblumen, verwendet werden. Auf 6.000 Quadratmeter baut Malin Lüth Schnittblumen an und erfüllt sich somit ihren Traum. Ihre „Wildling-Blumen“ aus dem Markgräflerland sind mittlerweile Teil einer größeren Slow-Flower Bewegung. Diese klassischen Geschäftsfelder können auch um das Thema Bildung ergänzt werden. Laura und David vom Betrieb Junges Gemüse aus Werdof, Hessen ergänzen ihre gärtnerische Praxis um das Thema Lernbauernhof. Hierfür haben sie einen gemeinnützigen Verein gegründet, der es ihnen einerseits ermöglicht, Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche anzubieten, aber auch um über den gemeinnützigen Charakter des Vereins Fördermöglichkeiten zu erschließen, die für einen reinen landwirtschaftlichen Betrieb nicht zugänglich sind. Eine interessante Kombination, denn das Thema der Ernährungsbildung liegt vielen Betrieben am Herzen.

Übersicht der genannten Betriebe aus Deutschland:
Die Zukunftsbauern (https://diezukunftsbauern.de/)
Vivian Glover – Gemüsegarten Hoxhohl (https://www.gemuesegarten-hoxhohl.de/)
Johannes Walzer – Lebendiger Landbau (https://solawi.lebendiger-landbau.de/)
Sara Knapp und Orfeas Fischer – Weierhöfer Gartengemüse (http://www.weierhoefer-gartengemuese.de/)
Biotop Oberland (https://biotop-oberland.de/)
Olaf Schnelle – Schnelles Grünzeug (https://xn--schnelles-grnzeug-e3b.de/)
Laura und David Hien – Junges Gemüse (https://www.jungesgemuese.ms/) Malin Lüth – Wildling Blumen (https://www.wildlingblumen.de/)
Jasper de Wit – Helle Bauer (https://www.hellebauer.de/)
Tom Mühlbauer – Feldgarten (https://feldgarten.com/)

Zahlen aus der Praxis

Um die Wirtschaftlichkeit zum Beispiel von Kulturen zu beurteilen, gilt folgende Formel:

(Ertrag je m² × Verkaufspreis) / Standzeit.

Je höher die Zahl, umso wirtschaftlicher die Kultur. Dabei wird deutlich, dass eine Kultur, die ein Beet das ganze Jahr belegt, entweder einen sehr guten Ertrag oder einen sehr hohen Verkaufspreis erzielen muss. Oder sie muss gut in beiden Kategorien sein, um den Zielumsatz zu erreichen. Bei schnellen Kulturen können mehrere Sätze auf einem Beet angebaut werden. Somit teilt sich der benötigte Zielumsatz pro Quadratmeter durch die Anzahl der Belegungen. Bisher existieren jedoch keine zusammenfassenden wirtschaftlichen Auswertungen von Marktgärten. Urs Mauk stellt daher in seinem Bericht „Auskömmlich gärtnern“ aus der Ökologie & Landbau 4/20231 vier Beispielbetriebe vor, um die Spannbreite der Wirtschaftlichkeit darzustellen. Die Lohnzahlen sind geschätzt, da die tatsächliche Arbeitszeit schwer zu beziffern ist. Außerdem ist zu bedenken, dass es sich dabei um eine Privatentnahme handelt, von der alle Abgaben wie Sozialversicherung oder Altersabsicherung gedeckt werden müssen. Wie hoch die Entnahme sein kann, hängt davon ab, ob weiter investiert wird oder Verbindlichkeiten bedient werden müssen. Angestellte und in einigen Fällen die Praktikant*innen werden mit Mindestlohn bezahlt.

Marktgarten 1: Die Anbausaison erstreckt sich über 30 Wochen. Die Anbaufläche beträgt 1 800 Quadratmeter und es sind zwei Unternehmer*innen Vollzeit beschäftigt. Der Umsatz beträgt 120 000 Euro. Die Vermarktung erfolgt überwiegend durch Kisten, die auf eine Ergänzung zu Kochgemüse ausgerichtet sind. Der Stundenlohn beträgt 20 bis 30 Euro.

Marktgarten 2 betreibt eine Solawi mit 100 Ernteanteilen und liefert von April bis Mitte Dezember über 38 Wochen. Die Freilandfläche beträgt 2 000 Quadratmeter, zwei Folientunnel haben zusammen 300 Quadratmeter. Sie machen die Anzucht überwiegend selbst auf einer Fläche von 50 Quadratmetern. Es sind 1,5 Vollzeitunternehmer*innen sowie Praktikant*innen beschäftigt. Der Umsatz beträgt 102 000 Euro. Der Stundenlohn beläuft sich auf 20 bis 30 Euro. Marktgarten 3: Eine Solawi mit 95 Ernteanteilen hat im ersten Jahr von Mai bis November geliefert und dazu 2 800 Quadratmeter Freiland und 360 Quadratmeter Gewächshaus genutzt. Es sind zwei Vollzeitunternehmer*innen sowie Praktikant*innen beschäftigt. Der Umsatz betrug 73 000 Euro. Der Stundenlohn liegt bei 20 bis 25 Euro. Im zweiten Jahr erstreckte sich die Anbausaison von Mai bis Dezember. Die Anbaufläche im Freiland wurde auf 3 400 Quadratmeter erweitert und es wurden 150 Ernteanteile angeboten. Es kamen eine halbe Stelle und zwei Minijobs dazu. Der Umsatz betrug 145 000 Euro, der Stundenlohn kommt auf 25 bis 35 Euro.

Marktgarten 4 ist ein Betrieb mit ganzjähriger Vermarktung. Dafür wird auch Lagergemüse angebaut. Die Vermarktung passiert durch Bestellung und Feldverkauf. Die Freilandfläche beträgt 4 300 Quadratmeter, der Folientunnel hat eine Fläche von 900 Quadratmetern. Es sind neben den beiden Unternehmerinnen eine Vollzeitarbeitskraft sowie Minijobber*innen beschäftigt. Der Umsatz in 2022 belief sich auf 85 000 Euro. Dabei liegt der Gewinn für die Unternehmerinnen bei circa 34 000 Euro. Sie kamen somit auf einen Stundenlohn von unter neun Euro. Diese verschiedenen Betriebe zeigen die Vielfalt an Arbeitskräften pro Fläche sowie Umsätzen pro Fläche, die in Marktgärten zu finden sind.

1 U. Mauk: Auskömmlich gärtnern. Zeitschrift Ökologie & Landbau 4/2023, S.26-28

Revival des Kleinen

In Deutschland gelangte die Marktgärtnerei, nach einem Vortrag von Jean-Martin Fortier 2017 in Fulda zum Durchbruch. Waren bereits einige Betriebe von den englisch- und französischsprachigen Pionieren inspiriert (z. B. Olaf Schnelle, Sebastian und Maya Heilmann oder Vivian Glover), stieg die Anzahl der Neugründungen ab 2017 rapide an (Stand Sommer 2024: rund 200 Betriebe in Deutschland). Die seit dem Event in Fulda jährlich stattfindende

»Marktgarten & Mikrofarming Konferenz«

bildet für alle aktiven und interessierten Menschen seitdem ein Forum zum Austausch und zur Vernetzung.

Diese findet auf Schloss Tempelhof statt

(Termin 2025: 24.-26.Oktober 2025)

und wird vom Kolibri Netzwerk organisiert, einem Verein zur Förderung der Marktgärtnerei in Deutschland

Weiterbildungsmöglichkeiten

Die Zukunftsbauern - https://diezukunftsbauern.de/kurse-beratung/

Urs Mauk / Relavisio - https://relavisio.de/

Netzwerk Solawi - https://www.solidarische-landwirtschaft.org/aktuelles/termine/termin-detail/web-seminare

Handbuch Solidarische Landwirtschaft - https://www.solidarische-landwirtschaft.org/fileadmin/media/solidarische-landwirtschaft.org/Solawis-aufbauen/Handbuch/Handbuch-Solidarische-Landwirtschaft-v1.2.pdf

WirGarten-Praxishandbuch für Gründung, Aufbau und Führung einer GemüseGenossenschaft - https://www.wirgarten.com/wirgartenhandbuch/

Weierhöfer Gartengemüse - http://www.marketgarden-weierhof.de/

Renate Spraul – Arbeitswirtschaft im Gemüsebau - https://de.linkedin.com/in/dr-renate-spraul-a45921a6

8.Marktgarten & Mikrofarming Konferenz, 24.-26.Oktober 2025, Schloss Tempelhof - https://kolibri-netzwerk.de/events/


Wer sich über die genannten Fortbildungen hinaus für eine Ausbildung zum Gärtner/zur Gärtnerin oder eine Weiterbildung zum Meister/zur Meisterin im Gemüsebau interessiert, für den könnte das angehängte Video einige Anregungen bereithalten.